Gretchenfragen

Wie hält man es mit der Religion? Ich bin getauft, konfirmiert. Das war so üblich. Der Familienfriede war gesichert. Ich würde mich nicht als religiös bezeichnen. Ich bin in der christlichen Kultur erzogen - aber mein "Lieber Gott, mach doch, daß ...." ist nur mein innerer Dialog - und kein Anruf beim "Chef".

Mir ist aufgefallen, daß man eigentlich selten darüber spricht. Aber das Thema lohnt sich. Im Zweifel ist es wohl gesellschaftlich opportuner, wenn man einer Religion angehört. Aber wie lebt sich das? Indem man brav in die Kirche geht? Was macht erklärte Christen anders?

Ich kenne Menschen, denen ich eine christliche Haltung zuordnen kann. Die Art, wie sie auf andere zugehen, welchen inneren Wertekompass sie haben. Denen es sogar im politischen Geschäft gelingt, nie ein negatives Wort über andere zu verlieren - und die selbst auf noch so böse Angriffe verständnisvoll reagieren. Davor habe großen Respekt - denn ich bin für das diplomatische Parkett nicht geschaffen.

Als ich 1990 das erste Mal  in Amerika, in Georgia, war und ich mit einer Tante über Religion und Glaube sprach, erinnere ich mich an einen Satz: "Oh mein Gott, habe ich wirklich Verwandte in Deutschland, die glauben, der Mensch stamme vom Affen ab?" Ella Mea war Lehrerin - damals schon in Pension. Für mich war dieser Dialog ein Kulturschock. Übrigens habe ich mit "Ja!" geantwortet. Bis dahin habe ich nicht mal im Traum daran gedacht, dass in den sogenannten hochentwickelten Nationen überhaupt etwas anderes in der Schule gelehrt werden könnte.
In den folgenden Wochen  besuchten wir bestimmt dreimal pro Woche die Kirche. Mittwochs, samstags und sonntags. Für mich war das alles spannend. Diese Inbrunst, mit der diese Menschen ihren Glauben leben. Und mit der Freude und Nächstenliebe. Es gibt keine Kirchensteuer, die Menschen geben freiwillig. Und es gilt als normal, sich in der Gesellschaft ehrenamtlich zu engagieren und für andere da zu sein.
Es war mein erster Besuch in einer Suppenküche. "Wir sind dran" sagt sie - und "Du kommst mit". Dann steht man da und hat die Kelle in der Hand und vor sich eine Schlange von Menschen, die ruhig und dankbar ihr Essen entgegennehmen. Für mich war das eine sehr wichtige Erfahrung. Verschiedene Clubs der Gemeinde wechseln sich in der Suppenküche ab. Meine Tanten waren im Gartenclub - und der war damals an der Reihe.
Am Ort gab es auch ein Bible-Campus - sogar mit deutschen Studenten. Es war eine Baptistische Gemeinde und der zwölfjährige Sohn des Pfarrers hatte sich zur Taufe entschlossen. Dies wurde als großes Fest gefeiert.Und in der Tat, die Zeremonie am örtlichen Wasserfall war beeindruckend. Die Baptisten gehen ja bei der Taufe ganz ins Wasser. Im Unterschied zu meiner Taufe als Baby entschließt sich der Täufling bei den Baptisten zur Taufe,  wenn er den Sinn der Taufe verstanden hat. Dies ist an kein bestimmtes Alter gebunden.
Wir kamen ins Gespräch mit dem Pfarrer und es stellte sich heraus, daß dieser auch der örtliche Exorzist war. Ich fragte ein paar Mal nach, denn es hätte ja sein können, daß ich das Englisch nicht richtig verstanden habe. Doch ich hatte richtig verstanden. Meine Überforderung beim Begriff Exorzist war wohl schwer zu übersehen. Meine Tante erklärte es mir so: Wo es einen Gott - also das Gute gibt, gibt es auch immer das Böse, den Teufel.
Diese Wochen in den USA haben mich sehr verwirrt. Nun, Georgia ist nicht Amerika, das lernt man gleich. Gefallen hat mir aber der Community-Gedanke. Dieses helfen. Wie aktiv dort die Senioren sind. Dort würde man auffallen, wenn man nicht irgendwie Charity betreiben würde.Aber vielleicht lag das auch an der ländlichen Struktur der Gemeinde.

Zurück in Deutschland hatte ich einen guten Gesprächspartner über diese Themen. Werner, ein Diakon aus Frankfurt, der begonnen hatte, in Frankreich bei Selestat ein Hotel zu sanieren. Unser Freundeskreis hat ihm dabei geholfen. Von Karlsruhe ist das Elsaß nicht weit. Also sind wir am Wochenende oft dorthin und nach der Arbeit gab es dann Lagerfeuer - und viel Wein und gute lange Gespräche. Das Hotel ist leider nicht fertig geworden. Helfende Hände reichen nicht aus - etwas Geld gehört auch dazu. Ab und zu fahr ich mal vorbei und vielleicht findet es einen Käufer, der es fertigstellt. Oder ich gewinne ein paar Milliönchen im Lotto.

Dann kenne ich Christen, die sehr großen Wert auf eine sichtbare religiöse Verortung legen - aber tatsächlich sich in der Art, wie sie Religion leben, eher von der Gruppe - oder Familie - abspalten. Als sei man etwas "besseres" oder "erleuchtetes". Die Pop-Stars sind dann Anselm Grün und Co. Was ist das? Späte Sinnsuche im Leben? Geht diese Krankheit wieder? Ich erlebe, daß diese Menschen nicht durch die Religion glücklicher oder zufriedener werden, sondern nur noch die Differenz von realer Welt und des eigenen Wertekonzepts messen. Hier ist Unzufriedenheit geradezu programmiert. Alles ist schlecht: Die Menschen kleben nur noch am Materiellen. Die Politiker sind alle schlecht. Alle sind gierig.
Maßgebend ist nur noch, was ein spiritueller Führer XY zu verkünden hat. "Ich muss da mal YX drüber reden." Man bleibt gern im eigenen Kreis. Unter Gleichgesinnten fühlt man sich am wohlsten. Erwachsene, gestandene Menschen.

 Ist der Glaube eine Ritterrüstung im Kampf gegen die Welt - oder sollte er eine Brücke sein? Manchmal steht man sprachlos da und sieht nur zu.

Wir forschen in die kleinsten Strukturen, können neurologische Prozesse erklären. Gefühle sind biochemische Prozesse. Und doch: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Das ist mein Idee von der Welt. Keine Religion. Ich möchte suchen, wach und offen bleiben.

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