Brauner Sumpf

Habe gerade mit meiner Mutter telefoniert. Mit Sorge beobachten wir die rechte Versumpfung - besonders in Thüringen. Woher kommt das? Von "Dönermorden" ist die Rede. Da ist doch kein Döner ermordet worden - das waren Menschen.
In meiner Erinnerung gab es in der DDR eine staatlich verordnete Ausländerfreundlichkeit. Diese bezog sich auf offizielle Termine, wo die Bruderschaft zu Angola oder Vietnam gefeiert wurde. Man holte viele junge Arbeitskräfte in die DDR, um sie dort auszubilden. Gute Kontakte zu den DDR-Deutschen gab es eigentlich kaum. Ich erinnere mich an ein Gespräch in meiner Kindheit, wo eine Herrenrunde darüber lachte, daß ein Wirt in einer Kleingartenanlage Bier nur an Angolaner, den "Negern", durch ein Fenster abgab. Über meinen kindlichen Protest war man sehr amüsiert. Das Internat der Angolaner nannte man "Affenhaus". Das war der Begriff dafür. Dieses Verhalten wurde von der "Staatsmacht" geduldet. Denn offiziell gab es das ja nicht. Es waren ja alles Freunde - Brüdervölker. Eine kranke, schizophrene Gesellschaft.
Ja, es gibt sie tatsächlich, diese diffuse Abneigung bestimmter Menschen gegen das Fremde. Aber nicht alle Ossis ticken so.
Fakt ist: Es gab nicht diese langsame Entwicklung wie im Westen. Und die Leute konnten auch auch nicht reisen, um sich selbst dem Fremden zu nähern.
Viele Rechte fischen in den Biotopen der Gestrandeten und versprechen Halt. Und der eine oder andere will nicht wahrhaben, welchen Hintergrund bestimmte Störaktionen im Kleinen haben. Aber wenn - wie ziemlich genau vor einem Jahr passiert - ein junger Mensch eine Lesung eines Autoren aus einem Buch über den Kosovo-Krieg laufend stört, indem er skandiert, daß Massenhinrichtungen - ja dieser Krieg eine Lüge sei, wie der zweite Weltkrieg eine Lüge sei, alkoholisert eine Prügelei provoziert - und die Lesung letztlich abgebrochen werden muss. Ist das ein armer Irrer? Und wenn man als Gast der Veranstaltung feststellt, daß es sich um einen sehr, sehr nahen Verwandten handelt? Zeigt man den an? Unterstützt das Schweigen die Nazis im Kleinen - und dann im Großen? Wo fängt der Nazi an?

Letztlich ist die Frage, wie jede Familie mit diesem Thema umgeht. Mein Großvater hatte eine Schußwunde am Rücken, die mich als Kind immer sehr beeindruckt hat. "Das kommt aus dem Krieg" hat mein Großvater gesagt. Ich habe dann auch die Frage gestellt: "Wenn auf Dich geschossen wurde, hast Du dann auch geschossen?" Keine Antwort.
Mein Großvater war ein Mann, den ich sehr geliebt habe. Er ist im Oktober 2007 gestorben. Er war viele Jahre ein sehr kraftvoller, präsenter Mann gewesen. Hatte sich aus dem Nichts etwas geschaffen und war irgendwie auf seine Weise ein Patriarch. Aber zu seiner Vergangenheit gehörte auch das Warschauer Ghetto und das eine und andere unerfreuliche mehr. Vieles habe ich erst später - heute denke ich - zu spät erfahren. Man hat darüber nicht gesprochen. Nicht offen. Es wurde mehr angedeutet. Heute habe ich noch so viele Fragen. Seine Geschichte für uns als Familie schärfer zu zeichnen, gehört zu Aufgaben von uns Enkeln.
Dazu gehört auch, daß die Mutter meines Vaters auf der Flucht von Ostpreußen in das Inferno von Dresden geriet. Diese und andere Geschichten hinterlassen Spuren in unseren Familien. Sie sind automatisch ein Baustein in der eigenen Biografie.

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